Stellungnahme von fauna•vs zur Vernehmlassung über die neue Jagdverordnung
Allgemeine Anmerkungen von fauna•vs
Das Bundesgesetz über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel von 1986 (Jagdgesetz, JSG) regelt nicht nur die Jagd, sondern auch den Schutz von wildlebenden Vögeln und Säugetieren. Im Jahr 2020 lehnte das Schweizer Volk nach einem Referendum eine vom Parlament ausgearbeitete Neufassung des JSG ab. Das vorgeschlagene Gesetz war eine verwirrende Mischung aus völlig überholten Artikeln (die die Erkenntnisse der letzten vier Jahrzehnte nicht berücksichtigten, insbesondere in Bezug auf die negative Entwicklung der Säugetier und Vogelbestände) und neuen Artikeln, die nur darauf abzielten, die Bestände geschützter Arten zu begrenzen, manchmal sogar drastisch. Wenn das JSG nicht nur die Jagd, sondern auch den Schutz von wildlebenden Säugetieren und Vögeln regeln soll, warum wurde dann der Schwerpunkt auf die Regulierung der Grossraubtiere und des Bibers gelegt und nicht auf das Schicksal von Arten, die im Rückgang begriffen sind?
Seit dem 1. Dezember 2023 hat die Schweiz eine neue Fassung des JSG, da das Referendum dieses Mal nicht ergriffen wurde. Das Parlament hat vieles von dem, was das Volk 2020 abgelehnt hatte, durch die Hintertür in das Gesetz aufgenommen, insbesondere die Regulierung von Grossraubtieren. Da das JSG ein unausgewogenes Gesetz bleibt, d. h. eine Mischung aus veralteten Artikeln und neuen Gesetzesartikeln, die einzig und allein darauf abzielen, Wölfe und Biber (und vielleicht per Bundesratsbeschluss bald auch andere geschützte Arten wie den Luchs oder den Steinadler) auszurotten, kann die dazugehörige Verordnung über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel (Jagdverordnung, JSV) nur von schlechter Machart sein. Wie das JSG ist auch die JSV nicht an die tatsächliche Situation der Wildtiere angepasst und ignoriert die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die im Bereich des Schutzes und des Managements gewonnen wurden. Dies ist bedauerlich und unwürdig für einen Rechtsstaat und eine Nation, die sich gerne als Vorreiter im Bereich des Umweltschutzes bezeichnet.
Spezifische Erwägungen und Verbesserungsvorschläge
Wir müssen leider feststellen, dass die in die Vernehmlassung gegebene Verordnung von Regelungen für Eingriffe in grundsätzlich geschützte Arten (Wolf, Steinbock, Biber) dominiert wird. Dagegen fehlen dringend notwendige Schutzmassnahmen für Arten und ihre Lebensräume wie Feldhase, Schneehase, Alpenschneehuhn, Birkhuhn und Waldschnepfe, die im Übrigen auf nationaler Ebene oder in einigen Kantonen weiterhin mit hohen Quoten bejagt werden. In diesem Punkt halten wir den Entwurf der JSV als völlig konträr zum Stand des Wissens und zum Bestandsstatus der Populationen.
Nach einem Jahrhundert des erfolgreichen Schutzes der grossen wildlebenden Tiere, insbesondere der Huftiere und ihrer natürlichen Feinde, der zur schrittweisen Rückkehr von Arten geführt hat, die während rund einem Jahrhundert aus der Schweiz verschwunden waren, markiert der Entwurf der neuen eidgenössischen Jagdverordnung zweifellos eine Rückkehr zur Mentalität des 19. Jahrhunderts, die für das Verschwinden oder den Rückgang dieser Arten verantwortlich war (insbesondere mit Prämien für ihre Vernichtung). Dies ist ein inakzeptabler Rückschritt, der das Erreichte in Frage stellt.
Die Verordnung, die vorgibt, Wildtiere zu regulieren, um die Biodiversität und natürliche Biotope zu erhalten, ignoriert die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte. Die Komplexität der Nahrungsketten, die spezifische Vielfalt der Artengemeinschaften und die ökologischen Interaktionen, wie z. B. Prädation und Konkurrenz, sind wesentliche Faktoren, die den Reichtum an biologischer Vielfalt und das ökologische Gleichgewicht fördern, nicht zuletzt durch die Aufrechterhaltung der wesentlichen koevolutionären Prozesse, die Flora und Fauna seit langem prägen. Diese jüngsten Fortschritte zu ignorieren und sich auf Regulierungsmassnahmen zu verlassen, die einer verdeckten Jagd gleichkommen (Wolf, Steinbock, Biber), wird entgegen der Absicht des Gesetzgebers zu einer Verschlechterung der Biodiversität führen.
Der Abschuss von Wildtieren sollte nur zur Reduzierung oder Beseitigung von nachgewiesenen wirtschaftlichen Schäden oder zur Eindämmung von Risiken für die körperliche Unversehrtheit von Menschen durchgeführt werden, wobei letztere oftmals eher in der Fantasie als in der Realität vorkommen. Ausserdem müssen die Abschüsse tatsächlich auf problematische Individuen abzielen. Schliesslich dürfen keine Abschüsse zur Regulierung von Arten erlaubt werden, die nur noch geringe Bestände aufweisen (z. B. Fischotter, Schakal usw.) oder die praktisch keinen ökologischen Schaden verursachen (z. B. Adler, Luchs usw.) (Art. 9a).
Der Begriff der proaktiven Regulierung (präventive Abschüsse) muss aufgegeben werden, da es sich dabei im Grunde um eine Form der ziellosen Jagd handelt. Dies zeigte sich deutlich bei der Wolfsregulierungskampagne von Dezember 2023 bis Januar 2024. Sie war nicht in der Lage, vorrangig die Individuen zu eliminieren, die Schäden verursacht haben. Das bedeutet, dass die Strategie, durch proaktive Abschüsse einen „erzieherischern Effekt“ auf Wölfe zu erzielen, ein frommer Wunsch ist, der auf keiner seriösen Grundlage beruht. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass eine solche Praxis nie oder nur sehr selten den gewünschten Erfolg bringt, und das zu Kosten, die sich nicht lohnen. Die zugrunde liegenden Ziele werden nicht erreicht: 1) die Bemühungen, den Schaden an Nutztieren zu verringern, 2) die Taktik, Wölfe scheuer zu machen, um die angebliche (eingebildete!) Gefahr für Menschen auszuschliessen, und 3) die Bestände jagdbarer Arten zu erhöhen. Wir haben dies in fauna.vs info Nr. 45 (2024) ausführlich beschrieben.
Der Herdenschutz (Art. 10c), die bei weitem wirksamste Methode zur Bekämpfung von Wolfsrissen (diese traditionelle Praxis, die es uns ermöglicht hat, seit Jahrhunderten mit dem Wolf zu leben), muss seine Bedeutung wiedererlangen. Auf lange Sicht wird dies zweifellos die Schlüsselmassnahme sein, um eine friedliche Koexistenz mit dem Wolf zu erreichen, da Regulierungsabschüsse als „ultima ratio“ nur dann durchgeführt werden sollten, wenn der Schutz der Herden vom Wolf umgangen wird. Insbesondere bedarf es einer stärkeren Unterstützung auf Bundesebene für die Ausbildung und Einstellung von Hirten, ein Aspekt, der in der Gesetzgebung bislang völlig vernachlässigt wurde. Es muss auch wieder ein Bundesprogramm für die Zucht und den Einsatz von Herdenschutzhunden eingeführt werden, um sicherzustellen, dass alles ordnungsgemäss abläuft. Das alleinige Aufstellen von Zäunen oder der Einsatz von Zäunen und Herdenschutzhunden allein sind keine ausreichenden Massnahmen. Es ist wichtig, den Beruf des Hirten zu rehabilitieren und vor allem auf das Trio „Hirte – Schutzhund – Zaun“ zu setzen, was sich seit Jahrtausenden als Schutz vor Angriffen durch Grossraubtiere bewährt hat.
Das Ziel der JSV, einen Mindestbestand an Wölfen mit einem sehr tiefen Schwellenwert (Art. 4b Abs. 3 und Anhang 3) zu erhalten, ist unrealistisch. Dieser Ansatz wird zwar zu einer lokalen Ausrottung des Raubtiers führen, aber es wird sehr schwierig sein, solche Gebiete wolfsfrei zu halten, da die Kolonisierungs- und demografische Dynamik des Wolfs so stark ist. Darüber hinaus ist die Zahl von 12 Wolfsrudeln für die Schweiz das Ergebnis einer völlig willkürlichen Entscheidung und ignoriert die von wissenschaftlichen Experten empfohlene Populationsgrösse für das Schweizer Territorium aus einer internationalen Perspektive des Raubtiermanagements. Es ist offensichtlich, dass bis heute weder der Bundesrat noch das Bundesamt für Umwelt den extrem niedrigen Schwellenwert von 12 Wolfsrudeln und den theoretischen Verteilungsschlüssel innerhalb der willkürlich festgelegten geografischen Kompartimente begründen konnten. Zum Beispiel wurden für das Kompartiment der Westschweizer Alpen (Kantone Bern, Freiburg, Wallis und Waadt) drei Rudel als Mindestgrösse definiert. Das bedeutet, dass jeder dieser Kantone im Laufe der Zeit 0 bis 1 Rudel haben könnte! Wenn man bedenkt, dass allein im Wallis 8 bis 9 Rudel leben (und nicht 13 Rudel, wie von den offiziellen Stellen angegeben; siehe fauna.vs info Nr. 45), wäre es möglich, fast alle Rudel im Wallis abzuschiessen! Dieses Ziel entspricht weder der Berner Konvention, noch der Schweizer Verfassung oder dem Bundesgesetz über die Jagd:
- Gemäss der Berner Konvention sind Massnahmen gegen den Wolf nur «zur Verhütung ernster Schäden» möglich (und unter Einhaltung weiterer Bedingungen, insbesondere im Hinblick auf Herdenschutzmassnahmen).
- Gemäss der Schweizer Verfassung schützt der Bund die vom Aussterben bedrohten Arten.
- Gemäss Jagdgesetz, Art. 7a, Abs. 2, dürfen Regulierungen den Bestand einer Tierpopulation, unabhängig von der Art, nicht gefährden.
In Bezug auf den Biber besteht kein Bedarf an neuen Regelungen. Die vorgeschlagenen neuen Bestimmungen (Art. 9d) gehen weit über den Abschuss als „ultima ratio“ hinaus und erlauben individuelle Entnahmen, ohne dass vorher ein grosser Schaden entstanden ist. Die Interventionsstrategie für den Biber stellt zudem eine Verletzung des Volkswillens dar, der im Referendum von 2020 bekräftigt wurde.
Positive Aspekte
Wir möchten drei positive Aspekte erwähnen, die wir im Vernehmlassungsentwurf der JSV gefunden haben: 1) die Einrichtung von Wildtierkorridoren, die es ermöglichen, isolierte Lebensräume wieder zu vernetzen (Art. 8c-e), 2) das formelle Verbot der Jagd auf geschützte Arten innerhalb der eidgenössischen Jagdbanngebiete (das vom Volk abgelehnte Gesetz von 2020 sah vor, dass in den eidgenössischen Jagdgebieten Abschüsse zur Regulierung von Wolf und Steinbock möglich sein sollten) und 3) das Verbot von unbemannten Zivilluftfahrzeugen in den eidgenössischen Jagdbanngebieten und in Wasser- und Zugvogelreservaten von internationaler und nationaler Bedeutung.
Gesamteinschätzung
Wie die Neufassung des Bundesgesetzes über die Jagd, den Schutz der Vögel und der wildlebenden Säugetiere (JSG 1986, Version 2023) muss auch die in die Vernehmlassung gegebene Verordnung (JSV) grundlegend überarbeitet werden, um den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und den globalen und regionalen Herausforderungen betreffend Biodiversität gerecht zu werden. Das sechste Massenaussterben (das erste von uns Menschen verursachte) verdient gesetzliche Instrumente, die den realen Herausforderungen bezüglich Biosphäre (auch in der Schweiz) gerecht werden.